Freie_Nationalisten_Berlin_Mitte_Gentec_Demo_2012_smallIm Jahr 2010 erklärte eine aktio­nis­ti­sche neo­na­zis­ti­sche Grup­pie­rung den ehe­ma­ligen West­ber­liner Bezirk Wed­ding zu „ihrem“ Akti­ons­raum. In den fol­genden Monaten machten sie durch eine Serie von Sach­be­schä­di­gungen, Gewalt­taten und Pro­pa­gan­da­ak­tionen auf sich auf­merksam. Nicht zuletzt auf­grund breit gefä­cherter anti­fa­schis­ti­scher Gegen­ak­ti­vi­täten schei­terte nach wenigen Monaten das Unter­fangen der „Freien Natio­na­listen Berlin Mitte“, sich in den Kiezen zu eta­blieren.

New kids on the block

Die ersten bekannten Vor­fälle ereig­neten sich im März 2010, als zwei unbe­kannt geblie­bene Per­sonen die Scheiben eines linken Wed­dinger Wohn­pro­jektes mit Steinen ein­warfen. Bereits einen Monat zuvor war ein benach­bartes Haus­pro­jekt mit rechten Parolen besprüht worden und im Kiez tauchten ver­mehrt neo­na­zis­ti­sche Pla­kate und Auf­kleber auf. Etwa ab Mitte April war dann eine Inter­net­seite online, die die Grün­dung der neuen neo­na­zis­ti­schen Kame­rad­schaft FNBM bekannt gab und den Bezirk Mitte, ins­be­son­dere den Orts­teil Wed­ding als Akti­ons­raum angab. Außer Artikel, in denen die eigenen Aktionen glo­ri­fi­ziert wurden, wid­mete sich die Seite anfangs beson­ders der Mobi­li­sie­rung zum bevor­ste­henden Nazi­auf­marsch am 1. Mai 2010 in Berlin. Die Aktiven von FNBM taten sich wei­terhin durch ein starken Gel­tungs­drang hervor – so posierten sie z.B. einige Tage vor dem ersten Mai mit einem Trans­pa­rent vor einem Wed­dinger Haus­pro­jekt, um die Fotos der Aktion anschlie­ßend auf ihre Home­page ein­zu­stellen. Auch ver­meint­liche poli­ti­sche Gegner_innen wurden foto­gra­fiert und ins Netz gestellt. In ste­tigen Blog­bei­trägen setzten sich die FNBM in Szene: Von der Teil­nahme an Demons­tra­tionen, über das Ver­kleben von Pla­katen bis hin zum „Benefiz-Grillen“ im Park wurde berichtet. Gele­gent­lich wurden auch „Beken­ner­schreiben“ an lokale Anti­fa­gruppen ver­schickt, in denen sie sich bei­spiels­weise dazu bekannten, ein Trans­pa­rent unter einer Fuß­gän­ger­brücke auf­ge­hängt zu haben. Diese und wei­tere Bei­träge bewegten sich inhalt­lich in der Regel zwi­schen offener Ver­herr­li­chung des his­to­ri­schen Natio­nal­so­zia­lismus, ver­kürztem Anti­ka­pi­ta­lismus, Berichten von „Aus­län­der­ge­walt“ und „Abschie­bungen“ bis hin zur For­de­rung nach der „Todes­strafe für Kin­der­schänder“.

 

Aktio­nismus schlägt um in Gewalt

Neben vir­tu­ellem Gepolter ver­suchten die FNBM-Aktiven auch auf der Straße eine Hege­monie zu erlangen. Dazu wurde in den bean­spruchten Kiezen regel­mäßig gesprüht, geklebt und pla­ka­tiert – doch auch Angriffe und Bedro­hungen gegen Struk­turen und Per­sonen, die dem poli­ti­schen Gegner zuge­rechnet wurden, gehörten zum Reper­toire. So geschehen am 7. Mai 2010, als Mit­glieder der Kame­rad­schaft beim Kleben im Wed­ding auf vier Per­sonen trafen, die sie dem linken Spek­trum zuordnen. An dem fol­genden Über­griff betei­ligten sich u.a. die Bar­ni­merin Mandy Hei­den­wolf (Kame­rad­schaft Oder Barnim) sowie Chris­tian Schmidt und Steve Hennig,wobei letz­terer, dessen Woh­nung als Aus­gangs­punkt der Aktion diente, die Ange­grif­fenen mit Pfef­fer­spray besprühte.

Am 25.05.2010 atta­ckierten Mit­glieder der Kame­rad­schaft auf dem Weg zu einer Geburts­tags­feier eine Gruppe Jugend­li­cher am S-Bahnhof Fried­rich­straße. Falk Isern­hagen und Chris­tian Schmidt wurden im Anschluss von der Polizei gestellt und wegen Kör­per­ver­let­zung ange­zeigt. Auch ras­sis­tisch moti­vierte Über­griffe wurden bekannt, z.B. als Steve Hennig und seine Lebens­ge­fährtin Sabrina Jessen im Wed­ding am 9. Juni 2010 eine Pas­santin ras­sis­tisch belei­digten und Hennig der gläu­bigen Mus­lima ihr Kopf­tuch her­un­ter­riss.

In der zweiten Jah­res­hälfte 2010 dehnten die „Freien Natio­na­listen Berlin-Mitte“ ihre Akti­vi­täten zuneh­mend auch nach Wei­ßensee aus. So sprühten die FNBM im Juli 2010 weit­räumig Haken­kreuze und rechte Parolen rund um den Wei­ßensee. Als Aus­gangs­punkt der Aktion, an der auch Stefan Falk Liedtke und Falk Isern­hagen betei­ligt waren, diente die nahe gele­gene Woh­nung von Chris­tian Schmidt. Als sie anschlie­ßend ver­suchten, auf das Gelände des alter­na­tiven „Kultur und Bil­dungs­zen­trums“ (KUBIZ) zu gelangen, wurden sie von der Polizei gestellt. Mit­ge­führte Pfef­fer­sprays, Tep­pich­messer und zwei Tele­skop­schlag­stöcke ließen von einem geplanten Angriff aus­gehen. Als Antifaschist_innen nach erneuten Pro­pa­gan­da­ak­tionen und einem wei­teren ver­suchten Angriff auf das KUBIZ am 28. August 2010 in Wei­ßensee eine Demons­tra­tion durch­führten, ver­su­chen Anhänger_innen der FNBM eine Stunde zuvor erfolglos eine Spontan­de­mons­tra­tion auf dem nahe gele­genen Blu­men­fest durch­zu­führen. Dabei kam es auch zu ver­suchten Angriffen auf Presservertreter_innen, bei denen sich neben David Gal­lien und Steve Hennig vor allem Mike Gruber und Chris­tian Schmidt her­vor­taten.

Freie Nationalisten Berlin-Mitte in Strausberg, 19.06.2010: Steve Hennig (1.v.l.), Stefan Falk Liedtke (2.v.l.), David Gallien (M.), Mike Manfred Zerfowski (mit Kamera), Christian Schmidt (r.)

Freie Natio­na­listen Berlin-Mitte in Straus­berg, 19.06.2010: Steve Hennig (1.v.l.), Stefan Falk Liedtke (2.v.l.), David Gal­lien (M.), Mike Man­fred Zer­fowski (mit Kamera), Chris­tian Schmidt (r.)

So ver­ging im Jahr 2010 kaum eine Woche ohne neue „Akti­ons­be­richte“ auf der Home­page der FNBM. Außerdem fand im Jahr 2010 kaum ein Neo­na­zi­auf­marsch in der Region statt, auf dem die sie nicht mit eigenen Fahnen und Trans­pa­renten zugegen waren. So warb Steve Hennig offensiv und zum Teil erfolg­reich auf Sozialen Netz­werken wie Jappy und Face­book um jungen Nach­wuchs aus dem gesamten Ber­liner Ein­zugs­ge­biet. Die Ein­stiegs­hürden waren dabei niedrig: Interessent_innen wurden schon nach kurzem Online­kon­takt zu einem per­sön­li­chen Treffen in die Sze­ne­kneipe „Zum Henker“ ein­ge­laden oder via Jappy direkt zur Teil­nahme an bevor­ste­henden Aktionen auf­ge­for­dert.

 

Anti­fa­schis­ti­sche Inter­ven­tionen

Als die Köpfe der Kame­rad­schaft im Juli 2010 erst­mals von Antifas geoutet wurden, stieg der Druck auf diese stetig. Dem ersten Outing folgen meh­rere ein­zelne Outing­ak­tionen durch Sti­cker und Flug­blätter im jewei­ligen Wohn­um­feld der neo­na­zis­ti­schen Aktiven. So plötz­lich im anti­fa­schis­ti­schen Schlag­licht zu stehen, kam für viele der „Kame­raden“ offen­sicht­lich über­a­schend, denn schon kurz nach Erscheinen erster iden­ti­fi­zie­render Publi­ka­tionen schrumpfte die Kame­rad­schaft etwa um ein Drittel ihres bis­he­rigen Per­so­nen­kreises. Ob Furcht vor staat­li­cher Repres­sion, Ärger mit der Antifa oder beruf­li­chen Kon­se­quenzen, im Ein­zelnen lassen sich die Motive nur erahnen. Wäh­rend z.B. Mike Zer­fowski und Deme­trio Krüger von der Bild­fläche ver­schwanden, rea­gierten Hennig und Isern­hagen auf lokale Outings in ihrem direkten Wohn­um­feld mit unmit­tel­barer Ver­un­si­che­rung.

Hennigs PKW nach Brandanschlag, Ende 2010.

Hen­nigs PKW nach Brand­an­schlag, Ende 2010.

Und so ist für Hennig schon nach meh­reren Pöbel­leien und Sach­be­schä­di­gungen an seinem Auto das Maß voll: Er sucht sich inner­halb kür­zester Zeit eine neue Woh­nung am Stadt­rand in Berlin-Lichterfelde. Mit dem Weg­fall seiner bis­he­rigen Woh­nung, die der Kame­rad­schaft stets als Anlauf­punkt gedient hatte, enden die Akti­vi­täten im Wed­ding abrupt. Auch bei Isern­hagen folgten direkte Aktionen auf das Outing. So wurde sein Kreuz­berger Wohn­haus mehr­fach mit Steinen und Farbe atta­ckiert. Nachdem er schließ­lich auch kör­per­lich kon­fron­tiert wurde, nahm Isern­hagen nicht mehr an öffent­li­chen Akti­vi­täten der rechten Szene teil. Bei Schmidt hin­gegen nahmen die Dinge einen ent­ge­gen­ge­setzten Ver­lauf. Ange­sichts aus­blei­bender Inter­ven­tionen fühlte er sich durch die ihm ange­sichts des Outings zuteil­wer­dende Auf­merk­sam­keit eher geadelt.

An den beschrie­benen Fällen wird deut­lich, dass Outings als Mittel anti­fa­schis­ti­scher Inter­ven­tion noch immer unver­zichtbar sind. Einer­seits können sie dazu dienen, poten­ti­elle Opfer rechter Gewalt zu schützen, in dem rechten Akteuren die Anony­mität genommen wird. Ande­rer­seits wirken Outings auch als repres­sives Mittel, indem sie rechten Aktiven signa­li­sieren, dass sie in den Fokus der Antifa geraten sind und gege­be­nen­falls mit wei­teren Kon­se­quenzen zu rechnen haben.

Wie die zahl­rei­chen „Aufhörer_innen“ bei den FNBM nach dem ersten Outing gezeigt haben, reicht dies oft­mals aus, um Neo­nazis von wei­terem öffent­li­chen Aktio­nismus abzu­halten. Dar­über hinaus lie­fert das Bei­spiel der FNBM aber auch Zeugnis, dass anti­fa­schis­ti­sche Outings ihren repres­siven Cha­rakter ver­lieren und auf ein­zelne Geou­tete eher bestä­ti­gend wirken können, wenn der Ein­druck ent­steht, dass sie keine wei­teren Kon­se­quenzen zu fürchten haben. Neben klas­si­schen Outing­ak­tionen und direkten Inter­ven­tionen wurden aber auch zivil­ge­sell­schaft­liche Hebel in Gang gesetzt. So nahmen Antifas nach „spek­ta­ku­lären“ Aktionen der Kame­rad­schaft, wie den Angriffs­ver­su­chen in Wei­ßensee, Kon­takt mit Pressevertreter_innen auf, außerdem wurden Demons­tra­tionen und Kund­ge­bungen orga­ni­siert, um gezielt Öffent­lich­keit zu gene­rieren. Wäh­rend die Akti­vi­täten der Kame­rad­schaft von staat­li­cher Seite über Monate nahezu unbe­ant­wortet geblieben waren, wurden nun auch poli­ti­sche Entscheider_innen mit den Akti­vi­täten der Kame­rad­schaft kon­fron­tiert und die „FNBM“ bezie­hungs­weise die wach­senden Gegen­ak­ti­vi­täten wurden zuneh­mend medial the­ma­ti­siert.

Und so ver­kün­dete die Kame­rad­schaft im Sep­tember 2010, als das Wort „Verbot“ noch nicht einmal ange­klungen war, ihre Auf­lö­sung. Vor­an­ge­gangen war dem eine Haus­durch­su­chung bei einem ihrer Mit­glieder. Damit schien die her­ge­stellte Öffent­lich­keit und sicher­lich auch die Angst vor wei­teren direkten Aktionen der Antifa ihren Zweck erfüllt zu haben. Das ursprüng­liche Vor­haben der Aktiven, eine neo­na­zis­ti­sche Kame­rad­schaft mit Akti­ons­raum im Wed­ding zu eta­blieren, wurde damit auf­ge­geben.

 

Epilog

Wäh­rend noch einmal etwa die Hälfte der Mit­glieder in Folge der erklärten „Selbst­auf­lö­sung“ ihren Aktio­nismus bis auf Wei­teres ein­stellte, gaben u.a. Hennig, Schmidt, Liedtke und Gal­lien noch ein kurzes Gast­spiel unter dem Kürzel „Natio­na­lis­ti­sche Befrei­ungs­front Berlin“ (NBFB). Mit dem Label NBFB ging noch einmal eine neue Inter­net­seite von Hennig & Co. an den Start. Da etliche Bei­träge von der Inter­net­seite des „NW-Berlin“ über­nommen wurden, deu­tete sich hier eine Annä­he­rung der ver­blie­benen Aktiven an das Netz­werk an. In der Folge trat der Per­so­nen­kreis um Chris­tian Schmidt, Steve Hennig, David Gal­lien, Mike Gruber und Stefan Falk Liedtke nur noch vir­tuell unter dem Label NBFB in Erschei­nung.

Bei Aktionen und Demons­tra­ti­ons­be­su­chen ord­neten sie sich bereits den Struk­turen des „NW-Berlin“ unter. So am 23.01.2011, als Hennig, Gal­lien und wei­tere ehe­ma­lige Akti­visten der NBFB ver­suchten, mit etwa 25 Neo­nazis aus dem Spek­trum des „NW-Berlin“ an einer Ökologie-Großdemonstration in Berlin-Mitte teil­zu­nehmen. Als am 14.Mai 2011 144 Neo­nazis in Berlin-Kreuzberg auf­mar­schierten, befand sich dar­unter auch die Gruppe um Schmidt, Hennig, Gal­lien, Liedtke und Gruber. Bereits bei der Ankunft der Neo­nazis kam es zu Über­griffen auf Migrant_innen im Bahnhof. Kurz darauf atta­ckierte eine grö­ßere Gruppe der Neo­nazis unter den Augen der Polizei meh­rere Gegendemonstrant_innen, die sich zu einer Sitz­blo­ckade zusam­men­ge­funden hatten. Die Gegendemonstrant_innen wurden durch Tritte und Schläge ver­letzt. Als Täter konnten u.a. David Gal­lien und Chris­tian Schmidt aus­ge­macht wurden.

Als Neo­nazis am 21.Januar 2012 wie im Vor­jahr ver­suchten, an der all­jähr­li­chen Öko-Großdemonstration in Berlin teil­zu­nehmen, werden sie von Demonstrant_innen hin­aus­ge­drängt und unter Poli­zei­schutz genommen. Unter den Neo­nazis befanden sich auch Steve Hennig und Stefan Falk Liedtke. Weil Liedtke, wäh­rend die Neo­nazis abzogen, einem Pres­se­ver­treter ins Gesicht geschlagen hatte, wurde er im Sep­tember 2012 zu einer 6-monatigen Haft­strafe ver­ur­teilt.

 

Auf dem Rückzug: Christian Schmidt und Steve Hennig in Berlin-Kreuzberg, 14. Mai 2011

Auf dem Rückzug: Chris­tian Schmidt und Steve Hennig in Berlin-Kreuzberg, 14. Mai 2011

Die Per­sonen dahinter:

Freie_Nationalisten_Berlin_Mitte_Portraits_Namen

 

In den Jahren 2009/2010 waren die abge­bil­deten Per­sonen aktiv bei den „Freien Natio­na­listen Berlin Mitte“, bzw. ab dem Jahre 2011 bei deren Nach­fol­ge­or­ga­ni­sa­tion „Natio­na­lis­ti­sche Befrei­ungs­front Berlin“.

Freie_Nationalisten_Berlin_Mitte_Portraits_Namenlos

Hin­weise zum Ver­bleib erbeten an:

Freie Natio­na­listen Berlin-Mitte (PDF, 2.9 Mb)

[recherche&aktion]
recherche-und-aktion.net

 Bereits ver­öf­fent­licht in: fight.back 05 — Antifa-Recherche Berlin-Brandenburg, April 2013

m4s0n501
Schlagwörter: , David Gallien, Demetrio Krüger, , , , Mandy Heidenwolf, Mike Gruber, , Natio­na­lis­ti­sche Befrei­ungs­front Berlin, , Sabrina Jessen, Stefan Falk Liedtke, ,